Wer vor dem Mauerfall in West-Berlin lebte, erinnert sich an bizarre Bilder, wenn vom Grunewald die Rede ist. Denn bevor das brandenburgische Umland und die Naturareale im Ostteil der Stadt wieder zugängig wurden, war das rund 3.000 Hektar große Waldgebiet das Lieblingsausflugsziel für die meisten Stadtbewohner. Und so kam es, das sich an jedem Wochenende ungeheure Menschenmassen im Gänsemarsch über die Waldwege bewegten, jeder von ihnen bemüht, die anderen auszublenden und sich auf frische Luft, Vogelstimmen und knackendes Unterholz zu konzentrieren. Dieser skurrile Anblick und die Liebe der Berliner zu „ihrem Wald“ verhalfen dem Forst zu bundesweiter Prominenz.
Heutzutage gibt es viele Alternativen für Ausflüge ins Grüne, und so kann man im Grunewald tatsächlich auch wieder ganz für sich sein. Denn ähnlich wie dem Kurfürstendamm, der ab Mitte der Neunzigerjahre zeitweilig an Strahlkraft verloren hatte, erging es auch dem einst konkurrenzlosen Forst. Viele Neu-Berliner waren noch nie dort und wissen wenig über das einstige Jagdgebiet der brandenburgischen Kurfürsten. Dabei gibt es hier zahlreiche Naturschönheiten zu bestaunen: Moore, Seen und Heideflächen, seltene Vogelarten, Rot- und Schwarzwild. Und nicht nur das: In dem Waldgebiet, das von Schlachtensee und Krumme Lanke im Süden bis zum Teufelsberg im Norden , sowie vom Wannsee im Westen bis zur Clayallee im Osten reicht, verbergen sich zahlreiche kulturelle Sehenswürdigkeiten.
Das 1542 errichtete Jagdschloss Grunewald am Grunewaldsee etwa ist tatsächlich Berlins älteste Schlossanlage. Noch weiter zurück in der Stadtgeschichte geht es auf der Halbinsel Schildhorn. Hier steht ein Denkmal für den Slawenfürsten Jaxa, der hier im Jahr 1157 Zuflucht suchte, nachdem er seine Festung an der Müggelspree an den ersten brandenburgischen Markgrafen Albrecht der Bär verloren hatte. Zu dieser Zeit gab es noch gar kein Berlin und die einzigen Siedlungen auf dem heutigen Stadtgebiet waren Slawenburgen in Köpenick und Spandau. Sehenswert ist auch der 1899 fertiggestellte Grunewaldturm auf dem immerhin 78,5 Meter hohen Karlsberg, der einen weiten Blick über die Havel bietet. Erst Anfang dieses Jahres wurde der Turm, der zugleich ein Ehrenmal für Kaiser Wilhelm I. darstellt, nach langer Pause wiedereröffnet. Es bleibt zu hoffen, dass die Bewirtschaftung nach der Corona-Krise weitergeht.
Betroffen von den Restaurantschließungen der letzten Monate waren auch die traditionellen Ausflugslokale im Grunewald, die bis heute das besondere Flair West-Berlins verströmen: Das Waldhaus, die Fischerhütte oder das Chalet Suisse. Dennoch lohnen sich ausgedehnte Wanderungen durch den Grunewald und halten stets einige Überraschungen bereit. Eine davon ist ein 1879 begründeter Friedhof mitten im Wald, der im Volksmund „Selbstmörderfriedhof“ genannt wird. Nicht ganz zu Unrecht: Ursprünglich wurden hier vor allem Tote bestattet, die die Förster im Waldgebiet auffanden. Und weil die christlichen Kirchen seinerzeit noch die Bestattung von Selbstmördern auf ihren Kirchhöfen verweigerten, sah sich die Forstverwaltung gezwungen, für diese Verstorbenen selbst einen Friedhof anzulegen.
Bester Ausgangspunkt für Wanderungen im Grunewald von Schmargendorf aus ist der von der Clayallee abzweigende Eichhörnchensteig. Von hier aus umrundet man den Grunewaldsee entweder nördlich durch das Naturschutzgebiet Hundekehlefenn oder südlich am Jagdschloss vorbei. Auf dem Hüttenweg unterquert man die Avus und wendet sich dann wahlweise nach Norden, um zum Friedhof und zur Halbinsel Schildhorn zu gelangen, oder nach Westen Richtung Grunewaldturm. Hierbei passiert man eine weitere Besonderheit: den Sprengplatz Grunewald auf dem bis heute jährlich bis zu 70 kontrollierte Sprengungen stattfinden – zumeist von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg.
Weitere Informationen über Sehenswürdigkeiten im Grunewald finden Sie im Internet auf der Seite www.forst-grunewald.de
Teilen